italienische reflexionen
deine schmerzlich schöne melodie
hat sich in meiner rinde eingenistet
und treibt ihre spitzen wurzeln
weiter in die untiefe meines ichs
unter fließenden lichtperlen
hast du sie lächelnd gesummt
und als sie linkswärts abtauchte
stand ich dort und sog sie auf
nun verschwimmen meine welten
und ausgeraucht schleichen leere
erinnerungen hinter mir her
wie träume im morgentaumel
– du hast deine zigaretten vergessen
ich habe die zeit gezählt
die auf den schäbigen
tapeten meines hotelzimmers
auf und abwärts kroch
unter venezianischen brücken
treibt die letzte blüte der saison
ich spinne graue spiegelbilder
im trüben wasser und wünsche
ich wäre ein stachel in deinem fleisch
– verinnerlicht von dir
flüchtige blicke zu dem abgewetzten himmel
erhasche ich durch sihouetten verwahrloster
herrenhäuser deren oberfläche genau so
abgebröckelt ist wie meine innenseite angenagt
und sie nagt weiter
höhlt mich stetig
weiter aus
baut höhlen
in mir
legt eier –
larven schlüpfen
genährt von
gedankenbrocken
in enggerückten gassen
kann dir der himmel nicht
den kopf verschleiern
die nähe der kalten mauern
wohl aber die brust schnüren
und den geist engen
und die augen schärfen:
das ziel hinter der biegung
– entrückt schrittlich weiter aus dem sichtfeld
du die flüchtige
lauerst hinter jedem strauch
in parks fern von menschen
in kirchen fern von glauben
in booten fern von kurs
– eine theatralische träne vor dem haus goethes
– fällt kopfüber in flüsterndes wasser
– vermischt sich mit den seufzern von jahrhunderten
– die mir die worte aus dem mund entwenden
ein letztes augenzwinkern
werfe ich dir zum abschied vor die füße
deiner geisterhaften gegenwart
die sich ein unabwendbar letztes mal
in meine netzhaut säuregleich brennt
– ich winke einem schatten zu
– der über eine hauswand schneit
und dann
schmerzhaft schnell
der dramatische schneevorhang
am ende des dritten aktes
ich lasse dich dort
bei palästen und
heiligen plätzen
dort gehörst du hin
© jh 2002-2003