Budapest 2025 – Stadt & Lauf
Es war eine Reise für die mir Liebste, die im Rahmen des 40. Budapest Marathons 2025 den nächsten Schritt bzw. die nächsten 9 Kilometer ihrer noch jungen Läuferkarriere wagen wollte. Aber alles der Reihe nach…
Begonnen hat die Reise nämlich beim Vienna International Busterminal, kurz VIB. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man diesen tristen Ort als einen der hässlichsten Wiens bezeichnet. Mit dieser Meinung ist man nämlich alles andere als allein. Verstärkt wird diese Wahrnehmung, wenn man sich ins Bewusstsein ruft, daß dieser Ort das Erste ist, das man von Wien sieht, wenn man mit dem Bus anreist. Auf Maklerdeutsch könnte man sagen: Perfekte Verkehrsanbindung, da direkt unterhalb der Stadtautobahn gelegen. Kraftfahrzeugfreundlichst, da nur wenige Meter vom einem metallumwehrten Parkhaus entfernt. In neutralen Grauschattierungen gehalten um dem geistigen Auge die nötige Entfaltungsfreiheit zu gewähren. Entspannende Atmospäre durch stetige Geräuschkulisse. Reduktion auf das Wesentliche, denn Bequemlichkeit führt zu Dekadenz und Dekadenz zu Müßiggang – und das ist an einer Busstation unstrittig fehlt am Platz! Halten Sie 50 Eurocent bereit für den Besuch der Toilette, denn nur das, wofür man zahlt, ist auch etwas wert.
Mehr als 2,5 Millionen Passagiere jährlich erfreuen sich an diesem ersten Eindruck der drei mal zur „lebenswertesten Stadt der Welt“ gekürten Hauptstadt Österreichs.

Am Abend unserer Anreise trafen wir noch eine Bekannte der mir Liebsten zum Essen und es blieb dann in Kombination mit der nicht unerheblichen Verspätung des Busses nur mehr Zeit dafür, ins Hotel Memories Oldtown einzuchecken und schlafen zu gehen. Es war ein bisschen wie Nachhausekommen, denn sowohl der Vintage-Wasserkocher als auch die Schiefer-Untersetzer waren ident mit jenen, die sich in unserem eigenen Heim befinden…
Für die paar Stunden Budapest, die uns nach der Startnummernabholung am frühen Vormittag noch bleiben würden, hatte ich mir ein fotografisches Experiment mit meiner „neuen“ gebrauchten Sony Alpha 99 überlegt: ausschließlich eine 50mm Festbrennweite benutzen, in diesem Fall das Minolta 50mm f1,4.
Ich fand es limitierend und inspirierend gleichzeitig, es schärfte den Blick für Ausschnitte, die ich sonst so vielleicht nicht gewählt hätte. Echte Fotografie darf man sich bei einer Kurz-Städtereise natürlich nicht erwarten, aber die folgenden Bilder sind das Ergebnis dieses Experiments.
Am Weg zur Startnummernausgabe überquerten wir die Freiheitsbrücke bei phänomenaler Morgensonne.
Bei der Startnummernausgabe begann die Heldengeschichte der mir Liebsten. Nach erfolgreichen Halbmarathonstarts hatte sie sich bereits vor langer Zeit für den Bewerb „Interspar 30 km“ angemeldet, um diese Leistung noch zu steigern. Nun, leider verläuft das Leben und das Training nur im Idealfall linear und so lagen viele Widrigkeiten kreuz und quer auf dem Weg herum. Zielgerichtetes und beständiges Trainig wurden erfolgreich verhindert. Daher wollte sie sich eigentlich auf eine kürzere Distanz ummelden. Von den insgesamt sechs zur Verfügung stehenden Bewerben, die als Alternativen in Frage kamen, stand gerade einmal nur noch der 2 Kilometer Lauf zur Auswahl. Da war der Stolz dann doch zu groß und so blieb es bei der Nennung für die 30 Kilometer.
Am Weg zurück konnten wir den Start des 10 Kilometer Bewerbs beobachten und bald darauf auch die schnellsten Läufer, die sich bereits auf dem Weg zurück zum Ziel befanden. Der Versuch, die Läufer mit Mitziehen und Bewegungsunschärfe abzulichten, schlug zumeist fatal und total fehl.
Pläne schmieden, Möglichkeiten abwiegen, Entscheidungen treffen und wieder verwerfen. Das war das kosmische Hintergrundrauschen bei unserem Spaziergang durch die Budapester Altstadt. Da die 30 Kilometer als unerreichbar angesehen wurden, wurde der Plan geschmiedet, früher aus dem Rennen auszusteigen. Die Möglichkeiten, an welchen Kilometermarken das am Besten geht, wurden abgewogen und schließlich die Entscheidung getroffen, dies irgendwo zwischen Kilometer 13 und 19 zu tun, wo Metrostationen bzw. Straßenbahnhaltestellen gut erreichbar waren. Sogar ein Einzelfahrschein wurde vorsorglich gelöst und daran, diesen auch zu brauchen, fest geglaubt.
Pizza Me kannten wir noch von unserem letzten Aufenthalt und, bei den römischen Göttern, die Pizza ist echt gut! Wir mäanderten durch die kleineren Gassen und größeren Straßen, doch stets darauf bedacht nicht zu weit oder zu viel zu gehen. Ich hatte mich auch für den 30 Kilometer Bewerb angemeldet, da diese Distanz sehr gut in meinen Trainingsplan passte, den ich zwar schon längst nicht mehr einhielt aber durch das bereits entrichtete Nenngeld war ich sozusagen gezwungen, meinen Hintern zu bewegen.
Wir kamen zur St.-Stephans-Basilika, ein imposantes Bauwerk, das bereits zwischen Baubeginn und Fertigstellung drei Architekten überlebt hat. Besondere Erwähnung aber findet die Heilige Rechte Hand. Es handelt sich um die Hand, die dem Leichnam von Stephan I., passenderweise, genannt Der Heilige, abgetrennt wurde um fortan als Reliquie zu dienen. Stephan I. war, passenderweise, erster König des von ihm gegründeten Königreichs Ungarn. Zudem war Stephan I. fleißiger Christianisierer. Ungeachtet dieser heiligen Mission war er sich nicht zu schade, nach dem Tod seines einzigen Sohns die nun rechtmäßigen Thronfolger, die jedoch zum Heidentum neigten, zu blenden und ihnen Blei in die Ohren zu gießen um sie regierungsunfähig zu machen. Der Sohn seiner Schwester wurde daraufhin sein Nachfolger… Passenderweise.
In nachfolgend abgebildetem Schrein befindet sich die weitgereiste Heilige Rechte. Im 12. Jahrhundert wurde sie gestohlen und nach Komitat Bihar verbracht. Der Dieb wurde kurzerhand begnadigt und ein Kloster wurde errichtet, das fortan als Aufbewahrungsstätte dienen sollte. Kriegsbedingt gelangte sie sodann über ein Versteck in Székesfehérvár ins heutige Dubrovnik. Hier kommt Österreich ins Spiel, denn Kaiserin Maria Theresia ließ das mumifizierte Händchen wiederbeschaffen und es wurde feierlich am 28. Juni 1771 auf Schloss Schönbrunn übergeben. Von dort ging es zurück nach Buda, nur um zum 900. Todestag des inzwischen heiligen Stephan in einem eigens dafür gebauten Zug durch das ganze Land gefahren zu werden. Ob damit gewunken wurde ist nicht überliefert, darf aber bezweifelt werden. Wir schreiben inzwischen 1938. Gegen Ende des zweiten Weltkriegs gelangte die Reliquie über Veszprém und Kőszeg in eine Höhle bei Mattsee. Nach dem Krieg wurde sie Ungarn zurückgegeben und ist seither in der St.-Stephans-Basilika aufbewahrt.

Wir schlenderten zurück zum Hotel und nach einer Pause im Zimmer futterten wir auf der Dachterrasse des Hotels absolut ungesunde – aber wohlschmeckende – Burger, die uns für den morgigen Lauf ausreichend Kraft bescheren sollten.

Wir fanden uns also am nächsten Tag am Start des 30 Kilometer Bewerbs in der Nähe der Freiheitsbrücke ein. Sämtliche Ausstiegsszenarien der mir Liebsten wurden nochmals durchgedacht und durchbesprochen, Treffpunkte wurden vereinbart und nach einer etwas unverständlich kommunizierten Startphase ging es schließlich auf die Strecke. Der Kurs war sehr eben mit nur wenigen Steigungen, wenn es beispielsweise mal über eine Brücke ging, und auch sehr lange sehr gerade. Dennoch gab es mehrere 90-Grad Wendungen, die unangenehm zu laufen sind, da man aus dem Tritt kommt und diese Laufschuhe nicht unbedingt für enge Radien konzipiert sind. Ich versuchte locker zu bleiben, es nicht zu übertreiben, da es ja ein Trainingslauf und kein Wettkampf sein sollte, und kam nach 2:42:25 ins Ziel, was einer Pace von 5:25 min/km entspricht.

Meine mir Liebste hatte zu diesem Zeitpunkt auch bereits die Halbmarathondistanz überschritten und daher die ersten beiden Ausstiegspunkte gekonnt ignoriert. Via WhatsApp bekam ich Updates und Anweisungen: geht noch, hol die Sachen, noch 5, zäh… Ich stampfte also wie befohlen und vereinbart zurück zum Hotel, immerhin ein Fußmarsch von knapp 2,5 Kilometern, um mich einer Katzenwäsche zu unterziehen, die Rucksäcke und den Koffer zu holen und wieder zum Treffpunkt zurückzugehen. Denn erstens machte die mir Liebste nämlich „einfach“ weiter und zweitens mußten wir um 15:30 beim Busbahnhof in Kelenföld sein. Ersteres überraschte und beeindruckte mich zugleich, zweiteres war wie ein inoffizielles Zeitlimit. Der Start war erst um 10:15 erfolgt und inzwischen zeigte die Uhr bereits 14:00.
Um 14:15 dann die Erfolgsmeldung: geschafft, im Ziel! Ich war und bin so unglaublich stolz auf ihre Leistung, die sie selbst noch vor 4 Stunden für nahezu unmöglich gehalten hatte. Viel Zeit, diesen Erfolg zu feiern, blieb vorerst aber nicht, denn wir mussten sofort zur Metro um unseren Bus zu erreichen. Letztlich blieb uns zwar noch eine halbe Stunde auf dem Busbahnhof Kelenföld, die jedoch für Toilette und Kleidungswechsel nach dem Lauf auch bitter nötig war.
Es freut mich auch, daß sie ein paar meiner „Motivationstricks“ anwenden konnte: „Ich werde doch wohl 5 Kilometer laufen können, das ist ja nicht weit.“ Daß man vorher schon 25 gelaufen ist, verschweigt man dem Hirn besser. Es muß ja nicht alles wissen. Jedenfalls, habe ich schon erwähnt, daß ich stolz auf die mir Liebste bin? Falls nicht: bin ich! Erst letztes Jahr hatte sie ihren ersten Halbarathon in Salzburg bejubelt und hat diese doch nicht unerhebliche Steigerung allen Widrigkeiten zum Trotz erfolgreich gemeistert. Ich habe ihr damals gesagt: „Wenn du 21 Kilometer laufen kannst, dann kannst du auch 30 Kilometer laufen.“ Jetzt sage ich ihr: „Wenn du 30 Kilometer laufen kannst, dann kannst du auch 42 Kilometer laufen.“ Ein unerreichbares Ziel… aber das waren die 30 auch. Bis heute.






















































