Lettland 2025 – Tag 5 Sigulda & Ungurmuiža
Nach dem Frühstück begab ich mich auf den Weg zum Flughafen. Nicht jedoch um den Heimweg anzutreten, nein, sondern um mir einen Mietwagen abzuholen. Die nächsten Tage sollten nämlich in ländlicheren Gebieten verbracht werden. Ich bekam einen schicken, fast fabrikneuen, Dacia Sandero und fuhr damit nach Segulda, dem Ausgangspunkt der heutigen Wanderung im Gauja-Nationalpark.
Die ersten Schritte tat ich im Park des Neuen Schlosses von Sigulda und der dahinterliegenden Ruine der Ordensburg Segewold. Letztere konnte mich als österreichischen Burgenliebhaber leider nicht sonderlich beeindrucken, aber ich hoffe der moderate Eintritt von 2,50 Euro kommt der Erhaltung zugute.
Ich schritt etliche Holzstufen hinab ins Gauja-Tal und überquerte den Fluß über die Brücke über die Livländische Aa, wie die Gauja auch genannt wird. Auf den Hängen der gegenüberliegenden Hügel waren bereits die Konturen vom Schloß Krimulda sowie der Burg Treyden zu sehen, letztere Ziel und Wendepunkt des geplantes Weges.
Irgendwie scheint der Running Gag, oder passender: der Walking Gag, der zu sein, daß ich keinen Tag ohne nasse Füße auskomme. So versperrte mir auch hier eine unausweichlich große Pfütze der Weg, während ringsum bereits der Flußlauf den Boden unter Wasser setzte. Mittendrin also statt nur dabei!

Ich gelangte zur Gutmannshöhle, einer Sandsteinhöhle am Ufer der Gauja, in der zahllose Zeichen und Wappen von Studentenverbindungen und Liebesbekundungen eingekratzt sind. Grund dafür ist die Sage der Rose von Turaida, in der eine bildhübsche Jungfrau durch List und Heimtücke von zwei polnischen Offizieren bedrängt worden sei. Das begehrte Fräulein wiederum wandte List und Heimtücke ihrerseits selbst an um ihre Ehre retten, war sie doch mit einem gewissen Victor verlobt. Sie überzeugte ihre Beinahe-Peiniger davon, ein magisches Halstuch zu besitzen, daß sogar einem Schwertstreich standhalten könne. Es kam, wie es kommen mußte, und sie töteten die Rose von Turaida bei der Überprüftung der magischen Fähigkeiten des Tuches. Einer der Offiziere erhängte sich darauf hin, einer gestand seine Schuld ein. Victor hingegen war untröstlich, pflanzte eine Linde am Grab seiner Liebe, die heute als Liebeslinde bekannt ist, und verschwand danch für immer.
In der Höhle entspringt zudem eine Quelle, der natürlich ebenfalls magische Kräfte nachgesagt wird. Trinkt man von dem Wasser der Quelle, so die Legende, so besteht Liebe und Treue für Immer fort.

Nach ungefähr 7 Kilometern erreichte ich das Turaida Museum Reserve, wo auch zuvor erwähnte Linde sowie der Grabstein der „Rose von Turaida“ zu finden sind. Zugleich erreicht man über dieses Areal die Burg Treyden selbst, welche in der Realität weit weniger imposant wirkt als auf von Drohnen aufgenommenen, durch diverse Filter gejagte und sonstwie gepimpte Instagram-Bildern.
Zurück ging es durch den hügeligen Wald über viele, viele Holzstufen bis ich beim Schloß Krimulda wieder auf Zivilisation, das Cafe Milly, dem Kühlschrank des Cafe Milly und dem darin enthaltenen, stärkenden Zaubertrank namens Bier stieß.
Nach dieser Pause erhielt ich einen Anruf meines nächsten Hotels: Wo ich denn sei, man würde auf mich warten. Es stellte sich heraus, daß die bei der Buchung üblicherweise als unverbindliche Richtzeit angegebene Zeit von der Rezeptionistin für bare Münze genommen wurde. Ich versuchte zu erklären, daß ich Wandern sei und keine genaue Zeitangaben machen konnte, da ich selbst nicht wüßte, wann ich wieder beim Auto sei. Wir einigten uns darauf, daß ich um 20:00 eintreffen würde. Das erschien mir jedenfalls realistisch und versprach mir genügend Zeitpuffer für etwaige Umwege.
Über eine Fußgängerbrücke gelangte ich wieder ans andere Ufer der Gauja und stapfte forschen Schrittes wieder Richtung Sigulda. Am anderen Flußufer waren nun die so genannten Teufelsklippen und die Teufelshöhle zu sehen und durch die ufernahen Wälder führte ein Pfad bis zurück zum Ausgagspunkt der 19 Kilometer langen Wanderung.
Um 19:00 erreichte ich schließlich die Unterkunft: Ungurmuiža. Es war verlassen, das Restaurant war geschlossen und ich war alleine auf dem Anwesen, auf dem das 1732 von dem deutschstämmigen, jedoch in Schweden geborenen, Johan Balthasar Freiherr von Campenhausen im Barockstil errichtete Landhaus steht. Ich spazierte über das weitläufige Grundstück und vertrieb mir ansonsten die Zeit mit Warten.
Wie vereinbart kam gegen 20:00 eine junge freundliche Dame auf mich zu. Es stellte sich heraus, daß ich der erste und auch einzige Gast der diesjährigen Saison war. Das ganze Haus wäre quasi für mich alleine.
„Ich habe schon etliche Horrorfilme gesehen und ein paar davon beginnen genau so.“
„Ich weiß“, erwiderte sie mit einem schelmischen Grinsen.
Sie versuchte aus einer unübersichtlichen Anzahl an Schlüsseln die richtigen zu finden, zeigte mir kurz das Haus und ich bekam eine kleine Einführung in die Geschichte des Anwesens.
„Gibt es hier Geister?“
„Vielleicht“, erwiderte sie aber ich brauche keine Angst zu haben, denn die Familie Campenhausen sei sehr beliebt gewesen und Nachkommen der Familie würden das Landgut noch heute regelmäßig besuchen.
Musik begann in einem Zimmer nebenan zu spielen.
„Irgendjemand hat die Musik angemacht“, meinte sie, aber sie wisse nicht wer…
Das Zimmer lag im ersten Stock und ich stellte mein Gepäck in die erstbeste Ecke um die lästigen Formalitäten wie die Begleichung der Rechnung zu übernehmen.
„Jetzt hat jemand die Musik ausgemacht“, meinte sie und zuckte mit den Achseln.
Wir unterhielten uns noch ein paar Minuten in ausgesprochen freundlichem, fast schon kumpelhaften, Ton bevor wir uns verabschiedeten und ich mein Zimmer bezog.
Nach einem Brennesseltee begab ich mich wieder ins Erdgeschoß um das Gebäude zu erkunden. Im Erdgeschoß und Teilen des Obergeschoßes ist ein Museum eingerichtet, das der Familie Campenhausen und diesem Landgut gewidmet ist. Ich streifte durch die verlassenen Zimmer, die Sonne war bereits am Untergehen und warf lange Schatten in die Räumlichkeiten. Es ist doch ein etwas befremdliches Gefühl, ganz alleine in einem alten Herrenhaus zu sein, aber ich war hellauf begeistert.
In meiner Phantasie natürlich begann sich das kleine Kinderfahrrad wie von selbst zu bewegen, das doch etwas gruselig aussehende Schaukelpferd tat sein übriges und es hätte mich nicht gewundert, hätte jemand ohne irdischen Körper auf dem alten Klavier zu spielen begonnen. Ich fragte mich, ob ich wohl einen Poltergeist befreien würde, würde ich die Tür des Modellhauses zu öffnen wagen. Aber ich schlief sehr gut ohne daß irgendwelche Monster sich unter dem Bett hervorgewagt hätten und auch Der kopflose Reiter verhielt sich ruhig, so daß ich bis zum nächsten Morgen ungestört blieb.