Brüssel Marathon 2025
Ich könnte meine Teilnahme am Brüssel Marathon 2025 durchaus positiv verkaufen, denn immerhin war das mein 5. Marathon im heurigen Jahr. Ich könnte den Bericht so schreiben, als wäre es ein Triumph des wahren Willens gewesen, noch einmal mehr diese Distanz geschafft zu haben. Ich könnte es als heroisch anpreisen, ganze fünf Mal in einem Jahr die herausragende Disziplin der Leichtathletik absolviert zu haben. Aber so war es nicht.
Ich war extrem stolz auf mich, und bin es immer noch, daß ich für den Malta Marathon 2025 so konsequent trainiert habe wie noch nie zuvor. Nun, ich war schon mal bedeutend schneller und definitiv auch ausdauernder, aber noch nie so beständig wie im Frühjahr 2025. Ich bereue es nicht, daß ich drei Wochen später auch in Rom über die 42,195km gestartet bin, denn ich fühlte mich hervorragend. Auch für Riga zwei Monate später befand ich mich gut vorbereitet, nur Regen hat mir den Lauf erschwert. Aber danach war die Luft raus. „Läufer schwach wie Flasche leer,“ um Giovanni Trapattoni’s Rede sinngemäß abzuwandeln. Nach Riga hatte ich beinahe ein Dreivierteljahr an ununterbrochenem Training hinter mir und war entsprechend müde und ausgelaugt. Auch beruflich stand ich unter Druck und ich wählte den bequemen Weg.
Natürlich benötigte ich dringend eine Auszeit (am Besten von Allem), das war mir völlig klar. Ich verordnete mir eine Trainingspause. Leider füllte ich die Pause mit ungesunden Gewohnheiten und so zeigte die Leistungskurve bereits beim Helsinki Marathon im August schon wieder abwärts. Zurecht, denn ich hätte mich nicht so gehen lassen dürfen. Meine Vorbereitung für den Brüssel Marathon lässt sich mathematisch als die Kardinalität der leeren Menge beschreiben: Null.
Ich könnte schreiben, daß dies nach meinem, sportlich gesehen, erfolgreichsten Jahr überhaupt (2018), das einzige Jahr war, in dem ich 5 Marathons gelaufen bin. Wow! Ich könnte es, so wie es Wien 2023 auch tatsächlich war, als Triumph des wahren Willens verkaufen: nämlich das Absolvieren eines Marathons ohne spezifische Vorbereitung.
Die Wahrheit ist, daß es mir zu viel geworden war. Ich wurde von vielen Seiten mit Aufgaben zugeschüttet, manche davon kleiner, manche davon größer, aber ich hatte nicht die Zeit, alle abzuarbeiten. Der Aufgabenberg wurde irgendwann zu hoch – und ich resignierte. Obwohl das Lauftraining ein ausgleichender Faktor ist, erschien mir die Vorstellung, daß ich nun auch noch wieder vier Trainingseinheiten pro Woche unterbringen sollte, schier unüberwindlich. Also trainierte ich gar nicht mehr, fand Erklärung warum das diese oder die nächste Woche nicht ginge, und plötzlich saß ich einen Tag vor dem Brüssel Marathon mit der mir Liebsten in einer Pizzeria.

Die Pre-Race-Pizza ist ja Tradition bei mir und es ist mir absolut egal, was Sportwissenschaftler dazu sagen. Die Gesprächsinhalte waren Abwandlungen obig angeführter Themen und ich war mir zwar sicher, daß ich den Marathon schaffen würde, aber ich hatte keine Lust dazu. Ich hatte absolut keine Lust darauf, mich anzustrengen. Ein kleines bißchen weniger Lust hatte ich allerdings auf Aufgeben. Das ist wirklich nur in begründeten Ausnahmefällen eine Option, die ich bisher auch nur zwei Mal gezogen habe. Also würde ich auch an diesem Start stehen – und auch ins Ziel kommen.
Der Start war außergewöhnlich spät, nämlich um 10 Uhr. Ausreichend Zeit also für ein ausgiebiges Frühstück und um zuvor noch die mir Liebste zu ihrem Halbmarathonstart um 9:00 zu begleiten. Mir blieb also eine Stunde und ich habe mir noch einen Kaffee geholt um mir die Zeit in der doch etwas frischen Novemberluft zu verkürzen. Die Strecke verlief anfänglich gleich ungewöhnlich, nämlich durch einen Tunnel. Am Ende des Tunnels wurde man mit einem Blick auf die Nationalbasilika des Heiligen Herzens belohnt. Weiter ging es durch den Parc Roi Baudouin mit teils sehr schlechten Laufuntergründen hinauf zum Stuyvenberg, wo etliche Kilometer heruntergespult werden mussten. Die Strecke war sehr hügelig für einen Stadtmarathon. Meiner Sportuhr zufolge hatten sich insgesamt 400 Höhenmeter angesammelt. Ich rechne das immer gerne in Stockwerke um: ca. 110 nämlich. Gepaart mit einem eingangs erwähnten Unwillen war das eine fatale Kombination.

Wir kamen nach ca. 14 Kilometer beim Atomium sowie beim Planetarium vorbei und durften danach eine Runde im Koning Boudewijnstadion drehen. Obwohl das Stadion unbesetzt war, war das eine sehr nette Kulisse und auch die ganze Atmosphäre und die herbstliche Stimmung im Park gefielen mir sehr gut. Fast hatte ich bereits vergessen, daß ich keine Lust hatte, zu laufen. Überhaupt war die gesamte Route durch den Parc de Laeken optisch sehr gefällig. Ein gutes Drittel der Marathonstrecke, nämlich Kilometer 12 bis 22 und dann nochmals Kilometer 29 bis 33 führten durch den ehemals königlichen Park, der 1867 durch König Leopold II. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Allerdings sammelten sich dort bereits etliche Höhenmeter an.

Schon zuvor war ich nicht besonders flott unterwegs und lief die ersten 20 Kilometer sehr defensiv und hatte eine Halbmarathon-Durchgangszeit von 1:58. Ich wurde zunehmend langsamer, zwei Mal begann es zu regnen und bei Kilometer 30 war der erste spürbare Einbruch, aber ich konnte mich nach diesen katastrophalen 8:30 min/km nochmals fangen und die Pace wieder auf 5:49 min/km steigern. Bei Kilometer 35 mußte ich schließlich einsehen, daß ich heute weder die körperliche noch die geistige Fitness aufbringen konnte, um kämpferisch weitere 7000 Meter in akzeptablem Tempo zu überstehen, also schlumpfte ich mit einer Pace zwischen 7 und 8 Minuten pro Kilometer mühsamst in Richtung Königlicher Palast, wo sich das Ziel befand.

Ab Kilometer 39 ging es gnädigerweise nochmals etwas bergab, zuvor hatte ich von Kilometer 34 an fast durchgehend positive Höhenmeter gesammelt. Ich war dann einfach nur mehr froh, daß es nach 4:28:04 geschafft war, war weder enthusiastisch aber auch nicht deprimiert. Ich wollte nur mehr nach Hause. Zwischen dem Ziel, das sich direkt vor dem Königlichen Palast in Brüssel befand, und diesem Zuhause lagen allerdings noch fast 1.200 Kilometer.
Meine mir Liebste hatte ihren Lauf auch beendet und wartete auf mich beim Ausgang nach dem Parc de Bruxelles. Wir mühten uns zwei weitere Kilometer zu Fuß zurück zum Hotel, zogen uns um und begaben uns auf wehen Beinchen zum Bahnhof. Leider hatte ich aufgrund eines gewissen Zeitdrucks tatsächlich vergessen, ein Foto meiner hart umkämpften Medaille vor dem Palast zu machen. Glücklicherweise fanden wir auf dem Weg das perfekte Motiv: eine Baustelle. Genauer gesagt: eine Baustellenumzäunung. Oder noch genauer: einen Schlumpf. Perfekt.

Ein großes HALLO an dieser Stelle an unseren Schaffner, nach eigenen Angaben gebürtiger Sizilianer, fünf Sprachen mächtig, chinesisch noch lernend, und, nach eigenen Angaben, Finisher des Boston Marathons in unter 2:30. Leider habe ich seinen Namen vergessen, so daß ich dies nicht prüfen konnte, aber aufgrund des Wissens über die World Marathon Majors und dem Läufersprech zweifle ich es nicht ernsthaft an.
Es bleibt zu sagen, daß wir unserem Heimatflughafen und unseren Direktzug nach Hause problemlos erwischen konnten und sind nun beide der Ansicht, daß wir nun ein kleines bisschen Sportpause verdient haben.