Brüssel 2025 – Tag 2

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Am Freitag wollten wir uns den Plenarsaal des Europäischen Parlaments ansehen, denn in der Broschüre, die wir gestern im Informationszentrum erhalten hatten, wurde ein Gratisbesuch für „Individuals“ beworben. Auf dem Weg dorthin, diesmal zu Fuß, wollten wir einige Gebäude und Plätze besehen, die man gemeinhin Sehenswürdigkeiten nennt. Es wurde fast zu einer Obsession, die durchaus hybschen Bauwerke mit möglichst hässlichem Vordergrund zu fotografieren. Brüssel besitzt etliche wirklich wunderbare Gebäude und Plätze, aber so ziemlich überall war etwas, das den Gesamteindruck störte. Baustellen sind wichtig, sie zeigen ja eigentlich, daß die Stadt modernisiert wird. Müll ist auch wichtig, es zeigt, daß in Brüssel Menschen wohnen. Wenn man es aber gewohnt ist, daß Müll „versteckt“ wird, ist man in einem nicht-südeuropäischen Land eigentlich nicht gewohnt, daß rosa Müllbeutel auf der Straße liegen und schon gar nicht vor dem Sitz der Europäischen Union. Ja, ich denke, wir tun Brüssel ein wenig Unrecht an – aber es war unser Empfinden in diesen Momenten und unsere Erfahrung, daß Brüssel definitiv nicht zu den saubersten Städten Europas gehören dürfte.

Die Galerie der hässlichen Vordergründe:

Wir mäanderten uns an der Börse vorbei, über den Grote Markt mit seinen eindrucksvollen barocken Fassaden, den Kunstberg hinauf, an der Kathedrale St. Michael und St. Gudula sowie dem Palais Royal de Bruxelles vorbei bis zum Europäischen Parlament.

Wir hätten zuvor buchen müssen, heute gäbe es keine Plätze mehr und überhaupt sei die Broschüre veraltet und man muß sich doch bitte vorher online informieren. Der Besuch des Plenarsaals fiel aus. Gut. Meine mir Liebste hatte ohnehin einen anderen kostenlosen Besuch herausgefunden: Palais de Justice in französischer Amtssprache beziehungsweise Justitiepaleis in niederländischer Amtssprache oder aber in deutscher Sprache: Justizpalast. Also machten wir uns auf den Weg zurück und ich knipste alles, das sich nicht wegduckte, was bei Gebäuden dann doch eher selten der Fall ist.

Der Justizpalast ist ein monumentales Bauwerk, welches rund 25.000 m² Grundfläche beansprucht. Er wird derzeit umfassend renoviert, weshalb der Eingang auf eine Seitenfassade verlegt wurde. Ohne dem Wissen, daß man ihn legal und kostenlos besuchen darf, würde dort auch kein vernüftig denkender Mensch hineingehen. Innen muß man sich einer Kontrolle unterziehen und wird dann in die kafkaeske Welt der Gerichtsbarkeit entlassen. Wir fühlten uns klein, belanglos. Die ganze Architektur schien darauf abzuzielen, daß man sich unbedeutend fühlen soll. Übertrieben breite Prachttreppen führten zu einem übertrieben großen zentralen Saal, in dem sich winzig kleine Menschen mit seltsam gewandeten Advokaten beraten. Ständig nagte an uns nicht die Zeit, sondern das Gefühl, hier unerwünscht zu sein. Es war, als wären tausend Augen auf uns ausgerichtet obwohl wir tatsächlich durch großteils leere Gänge streiften. Befremdlich und unwirklich kam uns unsere eigene Anwesenheit vor, so daß wir, nachdem wir unsere Geschäfte im Justizpalast verrichtet hatten, froh waren, wieder im Freien zu sein.

Auf dem Weg zurück holten wir unsere Startnummern für den Brüssel Airport Marathon beim Königlichen Palast ab und flanierten danach durch das historische Stadtzentrum. Wir nahmen eine Route über Notre-Dame du Sablon, die wir auch kurz von Innnen besahen, und anschließend wieder über den Kunstberg abwärts. Es gibt dort übrigens eine famose Uhr, die über einen Jacquemart verfügt, also eine Figur, welche die Stunde schlägt. Die Uhr mit ihren 42 Glocken wurde, ebenso wie das Atomium, anläßlich der Weltausstellung 1958 errichtet.

Wieder überquerten wir den Grote Markt, wo ich natürlich wieder ein paar Fotos machen mußte, besuchten die bereits 1847 eröffneten Galeries Royales Saint-Hubert, welche zu den ältesten Einkaufspassagen der Welt zählen, und kamen auch beim letzten traditionellen Puppentheater in Brüssel vorbei, dem Théâtre Royal de Toone.

Es gibt erstaunlich viele moderne Gebäude im Zentrum und für mich als Bautechniker war es eine Freude, die Exaggeration eines Konzeptes zu sehen, an dem ich im Kleinen beteiligt war. Es wurde ein kompletter Häuserblock (!) ausgehöhlt, mit Stahlkonstruktionen gesichert und im Inneren neu aufgebaut. Es war mir eine außerordentliche Freude, diese vermutlich bauträgerseitig inszenierte Reduzierung der schützenswerten historischen Substanz auf die Fassade auch in anderen Ländern zu sehen. Ich dachte zuvor fälschlicherweise, daß nur österreichische Investoren derart findig sind…

Wir kamen schließlich bis zum botanischen Garten, leider aber kurz vor der Schließung, was einen beschleunigten Schritt und ein Hoppala zur Folge hatte. Ich schaute nach links und besah Bäume und einen Teich, ich schaute nach rechts und besah Hochhäuser und lief gegen einen Betonpoller. Falls man die Umstände überhaupt in verständliche Worte fassen kann, dann lief das Ganze wie folgt ab. Ich traf mit Schwung auf den Poller, kippte vornüber und um die Kamera nicht zu zerstören, ruderte ich mit der rechten Hand, landete somit bäuchlings auf diesem verflixten Poller und strampelte schildkrötengleich mit allen Extremitäten und fand so ungewollt eine Balance. Mir war in diesem Momenat aber zugleich durchaus bewußt, welch skuriller Anblick das gewesen sein muß, und bekam nicht nur ein horizontales Gleichgewicht sondern auch einen Lachanfall. Falls Sie also in letzter Zeit einen leicht übergewichtigen Mittvierziger auf einem Betonpoller hysterisch lachen haben sehen: das war ich.

Den Abend beschlossen wir auf dem Grote Markt mit einem soliden Cappuchino um € 3,50 und köstlichen Belglischen Waffeln um € 11,50 – nur um dies in die richtige Relation zu setzen.

Brüssel - Belgische Waffel
Brüssel – Belgische Waffel

Heute war mein Kopf nicht mehr von Schmerzen geplagt, so gelang auch das eine oder andere Foto zur blauen Stunde.