Helsinki Marathon 2025

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Kreuzworträtsel. „Untertrainiert, drei Buchstaben“. Ich.

In Helsinki stand heuer immerhin bereits mein vierter Start über diese Distanz an. Ich weiß nicht welcher Teufel mich da geritten hat, mich so oft anzumelden. Spoiler: einer geht heuer noch…

Nach dem Riga Marathon war ich bereits etwas müde und so sank mein Wille mich an Trainingspläne zu halten kontinuierlich. Zudem hatte ich beruflich eine etwas stressigere Zeit, die es auch regelmäßig erforderlich machte, über die Normalarbeitszeit hinaus tätig zu sein. So lag mein ehemals so starker Wille nur mehr erschöpft auf dem staubigen Boden und war froh, bis auf Weiteres nicht gebraucht zu werden. Ich war Anfang des Jahres irrsinnig stolz auf mich, daß ich in der 16-wöchigen Vorbereitung für den Malta Marathon exakt 100 Prozent der insgsamt 63 Trainingseinheiten exakt nach Trainingsplan absolviert hatte. Dieses Mal habe ich es keine 16 Mal geschafft, überhaupt laufen zu gehen.

Also habe ich mir über die Monate wieder ein (nicht mehr ganz so) kleines Bäuchlein zugelegt und war, wenn ich denn an den Wochenenden Zeit fand oder mir nahm, hauptsächlich auf hügeligen Waldwegen in gemächlichem Tempo unterwegs. Das mag ausgleichend wirken, aber einen aufbauenden Trainingserfolg hat man dadurch natürlich nicht.

Aber genug von der Erklärung meines Unvermögens, mich entsprechend vorbereitet zu haben, und hin zu etwas Erfreulichem: der Pre-Race-Pizza. Meine mir Liebste fand eine Pizzeria, die ein Angebot für Marathon-Teilnehmer hatte: Für einen erschwinglichen Betrag X bekam man eine Pizza und ein Bier. Bei den Preisen für Bier in Finnland war das ein Angebot, das wir nicht ablehnen konnten. Ich bin Kummer bei Bierpreisen im europäischen Ausland inzwischen gewohnt, aber in Helsinki war es mir derart zu teuer, daß ich mir sogar Fanta bestellte oder sogar gar nichts.

Helsinki Marathon 2025 - Pizza
Helsinki Marathon 2025 – Pizza

Das Beste an dieser Geschichte ist, daß die mir Liebste gar kein Bier trinkt! So kam ich in den Genuß von zwei Gläsern, worüber ich überaus erfreut und dankbar war.

Am Nachmittag, nach unserem Ausflug nach Suomenlinna, hatten wir uns bereits die Startnummern geholt und natürlich unser obligatorisches Kleidungs-Foto gemacht. Meine mir Liebste war eher, ich eher nicht so, besorgt, wie kalt es denn morgen sein würde. Die Wettervorhersage und die Erfahrungen der letzten Tage deuteten auf einen kühlen Tagesbeginn hin und auch Regen konnte nicht ausgeschlossen werden. Ich entschied mich trotzdem für kurz-kurz mit der Option der leichten Regenjacke im Laufrucksack.

Helsinki Marathon 2025 - Gearcheck
Helsinki Marathon 2025 – Gearcheck

Das Hotel war so freundlich, am Marathon-Tag das Frühstücksbuffet eineinhalb Stunden früher als sonst zu öffnen. Ohne warme Speisen zwar, aber ich bin mir ohnehin nicht sicher, ob ich vor dem Lauf um 6 Uhr morgens die köstlichen Kräuter-Würstchen mit Gemüseauflauf in meine Wampe verfrachtet hätte. Durch die belegten Brötchen allerdings fühlten wir uns ausreichend gestärkt, durch die Kaffees ausreichend aufgemuntert und so fuhren wir wohlgenährt mit der Straßenbahn zum Startgelände. Meine mir Liebste startete eine halbe Stunde vor mir und ich begleitete sie noch bis zum Startareal und blieb bei ihr bis zum Start, bevor ich mich wieder auf in Richtung Toiletten machte. Ein voller Bauch studiert nicht gern und eine volle Blase läuft nicht gern.

Es gibt zwei Helsinki Marathons, wobei sich einer, nämlich dieser, schlicht und einfach nur Helsinki Marathon nennt, während sich der andere mit dem Zusatz „City“ schmückt. Der Helsinki City Marathon findet im Frühjahr statt und wird um die Innenstadt in zwei Runden geführt, während der nur Helsinki Marathon über eine weite Schlaufe bis in die Vorstädte führt. Jedenfalls startet dieser, der nur Helsinki Marathon, bei Meripuisto, das ist ein Park direkt am Meer. Die Organisation dort war toll, es gab weder kaum Wartezeiten bei der Startnummernabholung noch viel Gedränge bei den Toiletten, die in ausreichender Zahl vorhanden waren.

Um Punkt 8:45 war Start für meinen Bewerb und er war fast genau so wie ich ihn mir Tags zuvor mit Augenzwinkern bereits ausgemalt hatte. Finnen sind ja nicht gerade für ihre Extrovertiertheit bekannt, daher dachte ich mir schon, daß es tendenziell weniger Spektakel sein wird als es zum Beispiel in Rom der Fall war. Gesprochenes Wort: „Ten seconds to start… Five. Four. Three. Two. One. Go.“ Höflichkeitsapplaus. Los geht’s.

Helsinki Marathon 2025 - Start
Helsinki Marathon 2025 – Start

Langsam wollte ich es angehen, diesmal aber wirklich. Das ist immer eine halb ernst, halb scherzhaft gemeinte Aussage vor jedem Lauf. Vermassle ich es, wollte ich eh langsam laufen, liefere ich ab, war es nur ein Scherz. Win-Win. Ich kam schon früh in die Nähe der Pacemaker für 3:45:00 und dachte mir, daß das ein den Umständen entsprechend gutes Ziel ist. Die ersten 21 Kilometer lief ich also in einem Pulk – und das war eine neue Erfahrung für mich. Eine Erfahrung, die ich eigentlich so nicht mehr machen will. Es waren doch an die 50 Läufer, die sich an die Fersen der beiden sympathischen Herren geheftet hatten. Die Nähe zu anderen Läufern war mir auf Dauer viel zu anstregend. Es ging nicht nur darum, daß man aufpassen muß, niemanden auf die Füße zu treten oder von anderen auf die Füße getreten zu werden. Alleine die Tatsache, daß jemand vor mir mit komplett anderer Schrittfrequenz unterwegs ist, machte mich wuggi.

Helsinki Marathon 2025 -  Pacemaker
Helsinki Marathon 2025 – Pacemaker

Bis Kilometer 21 machte ich das mit und lief daher auch sehr konstant eine 5:20er Pace bei einer „perfekten“ Schrittfrequenz von fast exakt 90. Bei einer Versorgungsstation nutzte ich die Gunst der Unübersichtlichkeit und trabte ein wenig zur Seite und nach Hinten. Nein, das konnte ich nicht schon früher machen, denn es hätte mein Ego verletzt, hätte ich mich irgendwo auf ganz normaler Strecke ausgeklinkt… Jemand, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe und den ich auch nie wieder sehen werde, könnte glauben, ich würde nicht mehr können. Undenkbar. Es wurde zudem aber auch tatsächlich bereits ein wenig anstrengend, aber ich konnte mich wieder fangen und – solo – bis Kilometer 32 eine Pace von 5:24 laufen.

Helsinki Marathon 2025 - Strecke
Helsinki Marathon 2025 – Strecke

Zur Verpflegung ist anzumerken, daß es keine der sonst üblichen Bananen gab. Zwar wurde von einem Sponsor so eine Art Energiegelbällchen zur Verfügung gestellt, aber: Was der Läufer nicht kennt, das ißt er besser nicht. So mampfte ich auf drei Etappen einen mitgebrachten Schokoriegel, was jetzt sportwissenschaftlich gesehen wahrscheinlich nicht ganz so gut ist, aber zumindest gewirkt hat. Der große Einbruch kam nämlich nicht und Kilometer 32 bis 36 waren mit 5:30min/km zwar schon langsamer als zu Beginn, aber noch im Rahmen.

Traditionell bekomme ich von den Strecken und den Sehenswürdigkeiten ohnehin schon wenig mit und durch die Teilnahme an der Menschentraube bis Kilometer 21 sah ich die erste Hälfte des Rennens nur Rücken, Beine und Hinterköpfe. Es gab ein paar so genannte Cheering Points, die ebenfalls finnisch-reduziert waren und dadurch nicht unbedingt Partystimmung verbreiteten. Mir ist sowas ohnehin immer relativ gleichgültig, ich neige dazu, in meinen eigenen musikalischen Sphären zu weilen.

Insgesamt war die Strecke etwas hügelig, wobei diese Abschnitte nicht wirklich steil oder lang waren, aber eben immer wieder leicht bergauf oder leicht bergab führten. So sammelte man an die 150 Höhenmeter an, die sich bei mir ab Kilometer 38 bemerkbar machten. Da hatte ich einen Mini-Einbruch und brauchte für diesen Kilometer ganze 6 Minuten und 34 Sekunden.

Da die 3:45:00 inzwischen bereits in unerreichbare Ferne gerückt waren, wollte ich natürlich immerhin unter 4 Stunden finishen. So legte ich wieder etwas an Tempo zu und konnte Kilometer 36 bis ins Ziel mit durchschnittlich 5:38min/km zurücklegen, was ich an diesem Tag und mit der mangelnden Vorbereitung jetzt nicht als fürchterlich schlecht für mich empfunden habe.

Helsinki Marathon 2025 - Ziel
Helsinki Marathon 2025 – Ziel

Nach 3:57:13 überquerte ich die Ziellinie und war insgesamt dann doch zufrieden. Zwar dachte ich mit Wehmut an meine Zeit beim Rom Marathon, den ich 5 Monate zuvor noch in 3:34:44 finishen konnte, andererseits hat es hat mir auch gezeigt, daß meine Grundlagen noch vorhanden sind und mit ausreichend Konsequenz wird in 2 Monaten beim Brüssel Marathon wieder eine akzeptablere Zeit auf der Urkunde nachzulesen sein.

Im Ziel wurde man mit jede Menge Zeug vollgepackt und hier hätte ich mir, trotz Verständnis für den Nachhaltigkeitsgedanken, doch ein Sackerl gewünscht. Zuvor allerdings stand ich etwas verloren und ratlos vor den Finisher-Medaillien. „Irgendwo müssen ja die für die Männer sein,“ dachte sich naiv mein ausgelaugtes Hirn. Nun, was soll ich sagen: die Medaillie war tatsächlich rosa. So ein richtiges, man möge mir verzeihen, Mädchenrosa. Nicht pink oder magenta oder fuchsia, nein: Mädchenrosa. Okay, wenigstens war sie nicht aus Plüsch und auch Einhörner waren nicht abgebildet. Auch die mir Liebste stimmte zu, daß jede andere denkbare Farbe besser geeignet gewesen wäre, um damit das Erinnerungsstück für das laufende Bezwingen von 42,195 Kilometern dauerhaft einzufärben. Nebenbei bemerkt gab es für alle Teilnehmer die gleiche Medaillie, egal ob Halbmarathon, Staffelmarathon oder ganzer Marathon. Für manche Menschen ist es ein Lebensziel, einmal einen Marathon zu laufen, und für viele Menschen ist es eine unglaubliche Selbstüberwindung, dieses Ziel mit großem Einsatz und unter körperlichen Qualen auch zu erreichen. Ich finde, und auch hier stimmt mir die mir Liebste zu, daß es eine gewisse Herabwürdigung der Leistung über die Volldistanz ist, wenn man dem Halbmarathonläufer die gleiche Anerkennung um den Hals hängt. Umgekehrt, glaube ich behaupten zu können, dürfte es keinen Halbmarathonläufer geben, der nicht Verständnis dafür hat, daß dem Volldistanzler eine etwas ansehnlichere, oder eine etwas andere, oder eine etwas anders beschriftete Medaillie zuerkannt wird – oder eine, die nicht rosa ist.

Helsinki Marathon 2025 - Voll beladen im Ziel
Helsinki Marathon 2025 – Voll beladen im Ziel
Helsinki Marathon 2025 - Finishermedaillie
Helsinki Marathon 2025 – Finishermedaillie

Meine mir Liebste lauerte mir im Ziel schon auf und auch sie hatte, ebenfalls mit suboptimaler Vorbereitung, ihren Halbmarathon erfolgreich finishen können. Ich bin sehr stolz auf sie und alle Sorgen und Gedanken, was bei der ersten Laufveranstaltung im Ausland nicht alles schief gehen könnte, waren verflogen und nichts davon war eingetreten.

Helsinki Marathon 2025 - Finisher
Helsinki Marathon 2025 – Finisher

Wir genossen noch die inzwischen sehr warme finnische Sonne, bevor wir uns auf müden Beinen zurück ins Hotel schleppten. Es war eine sehr gelungene Veranstalung ohne – wenn man von der ROSA Medaillie mal absieht – für mich erkennbaren Schwachpunkten.

Ein bißchen Statistik noch zum Schluß: über die Marathondistanz gingen 2315 Teilnehmer an den Start, ich erreichte den 898. Rang. Das ist mir eigentlich eh egal, aber da das Zeitnehmungssystem diese Werte schon so schön ausspuckt… Bei den Männern, um fair zu bleiben, kam ich als 739. von 1648 Starten ins Ziel. Für eine rosa Medaillie… Sie ist rosa…

Abschließend möchte ich noch eine Erfahrung teilen und mathematisch beweisen. Ich werde heuer 45 Jahre alt und habe einen Marathon in 4 Stunden absolviert. Das kommt mir bei Weitem nicht mehr so lange vor, als zu Beginn meiner Laufambitionen, als ich, um es einfacher rechnen zu können, 25 Jahre alt war. 4 Stunden im Leben eines 45-jährigen sind 0,00101% der bisherigen Lebenszeit, während 4 Stunden im Leben eines 25-jährigen 0,00183% der bisherigen Lebenszeit sind. Das ist fast doppelt so lang!

Diese Zeitwahrnehmung erklärt auch, warum unsere Sommer in der Kindheit gefühlt endlos waren und warum die Jahre nur so verfliegen, wenn man in ein fortgeschrittenes Alter kommt. Um es aber auf den Marathonlauf herunterzubrechen: Heuer ist mir verstärkt aufgefallen, daß es bei Weitem weniger lang zu dauern scheint, wenn ich einen dreistündigen Longrun auf dem Programm habe und daß ich bei Wettkämpfen nicht mehr, so wie früher, sehnsüchtig auf die, gefühlt nicht und nicht kommen wollende, nächste Kilometermarkierung warte. Von daher: alles gut, ich werde vielleicht nicht mehr real schneller, aber es dauert prozentuell gesehen immer weniger lang…