B8 Bergkristall 10.05.2025

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Im Zusammenhang mit Orten nationalsozialistischer Gräueltaten von Freude zu sprechen ist fehl am Platz, aber ich war, um es anders auszudrücken, erfreut als mir das Mauthausen Memorial per Mail meine lange gewünschte Teilnahme an einem Rundgang im ehemaligen Stollensystem „B8 Bergkristall“ bestätigt hatte. Letztes Jahr hatte ich das ehemalige KZ Gusen besucht und den heutigen Stolleneingang nur von außen sehen können.

Stollensystem Bergkristall
Eingang zum Stollensystem Bergkristall

Warum? Warum beschäftigt mich eigentlich diese Zeit so sehr? Doch diese Fragestellung ist so nicht richtig. Mich interessiert diese Zeit nicht. Mich interessiert der Zweite Weltkrieg nicht. Mich interessiert die Messerschmitt Me 262, das erste in Serie und militärisch eingesetzte Düsenflugzeug der Welt, nicht. Mich interessiert der Stollen, der nach rund 13 Monaten Bauzeit fast 49.000 m2 und rund 8 Kilometer Stollenlänge erreicht hatte, nur bedingt.
(Faszinieren würde in diesem Zusammenhang jedoch zutreffen.)
Mich interessiert, und das auf selbstquälerische Art und Weise, das Wie. Wie konnte es zu einer solchen, bislang glücklicherweise beispiellosen, Unmenschlichkeit kommen? Laut diversen Studien sind rund 1 bis 8% der Menschen sadistisch veranlagt – in unterschiedlicher Ausprägung. Obrigkeitshörigkeit, Unterwürfigkeit, Pflichtversessenheit sind Begriffe, die mir nun durch den Kopf gehen.
Aber bleiben wir bei „B8 Bergkristall“, denn diese Fragen werde ich heute nicht – und vermutlich auch niemals – beantworten können. Rund 9.000 Menschen fanden den Tod im Stollen, im Lager und Dazwischen; sei es durch die Arbeitsbedingungen, die Mangelernährung oder durch Exekutionen. Ich versuche diese Zahlen immer in einen vorstellbaren Kontext zu bekommen: Hier könnte man sagen, daß wenn man die Toten gleich Eisenbahnschwellen nacheinander aufreiht, man nach 8 Kilometern immer noch 1.000 übrig hätte.

B8 Bergkristall
B8 Bergkristall

Wenige hundert Meter neben dem seit 1940 existierenden KZ Gusen I wurde ab 1944 das aus behelfsmäßigen Baracken bestehende Konzentrationslager Gusen II in Betrieb genommen. Es diente der hastigen Errichtung und dem Betrieb einer geheimen unterirdischen Fabrik mit dem Tarnnamen „B8 Bergkristall“. Ganz so geheim war der Stollen jedoch keineswegs, zumindest die umliegende Bewohnerschaft wußte über den Bau Bescheid. Das KZ Gusen I, Gusen II und alle daran angeschlossenen Hallen etc. waren gut einsehbar. Zeitzeugen schilderten, daß sich die Bevölkerung beschwert hätte über den Anblick des Lagers, woraufhin ein Zaun errichtet wurde. Es wurde berichtet, daß die Kinder des Ortes bei Fliegeralarm in die Stollenanlage gebracht wurden – zu den KZ-Häftlingen, die unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten mußten, inmitten der Toten des Tages, die nach Schichtende mit ins Lager geschleppt wurden.

B8 Bergkristall
B8 Bergkristall – Zeichnung des Überlebenden Bernard Aldebert

Kurz vor 7:45 heute morgen trat ich in das Heimathaus von St. Georgen an der Gusen um dem einleitenden Vortrag über die Entstehung der Lager und dem Bau der Stollen zu lauschen. Danach gingen wir den kurzen Weg vom Ortszentrum zum heutigen Eingang zu den noch erhaltenen bzw. zugänglichen Stollen. Ich hatte breits eine gewisse Vorstellung der Bauweise und Dimension, die ähnlich wie in Ebensee war zumal sich das gleiche Ingenieurbüro eines gewissen Karl Fiebinger für die Planung und Bauleitung verantwortlich zeigte. Rund 6 Meter breit und rund 4,5 Meter hoch sind die ehemals 19 Haupttunnel, die durch Quertunnel miteinander verbunden waren. Ebenfalls Teil der Anlage: eine Eisenbahnanbindung bis direkt unter die Erde.

B8 Bergkristall
B8 Bergkristall

Aufgrund des Abtransportes nützlicher Gerätschaften durch die US-Armee und der nachfolgenden Beschlagnahmung sowie der versuchten Sprengung durch die Rote Armee, darauf folgenden Geländeeinbrüchen, nachfolgenden Sicherungsmaßnahmen durch Verfüllungen und dergleichen ist die gesamte Anlage heute nicht mehr sicher begehbar. In großen Teilen jedoch war der für die Gruppe begehbare Abschnitt noch in originaler Bauweise erhalten. Das Gebiet ist mit Radon belastet, daher wird für Führungen ein Belüftungssystem betrieben und Bergbauexperten begleiten die Gruppe. Die Führung endet am Notausgang, der dem Vernehmen nach 222 Stufen aufweist.

B8 Bergkristall
B8 Bergkristall – Notausgang

Es ist schwer vorstellbar, daß jedes Monat durchschnittlich über 600 Meter Stollen geschaffen wurden – mit Preßlufthämmern, Meißeln und dem Tod hinter Jedem. Durchschnittliche Überlebenszeit der Zwangsarbeiter: 12 Wochen.
Es hört sich spektakulär an, wenn man liest, daß dies eine der größten unterirdischen Fabriken des Dritten Reichs war.
Die Tunnel sind beeindruckend, verführen zum Staunen.
Aber es hört sich auch abscheulich an, daß die dies eines der tödlichsten Konzentrationslager des Dritten Reichs war.
Die Tunnel sind beklemmend, verleiten zum Schaudern.

Danach besuchte ich nochmals das Heimathaus in Sank Georgen an der Gusen um mir die Exponate in Ruhe anzusehen. Es sind Bauteile der Messerschmitt zu sehen, diverse Artefakte aus jener Zeit und ein Modell des Lagerkomplexes, das die Dimensionen begreifbar zu machen versucht.

Ich habe eingangs erwähnt, daß ich um 7:45 beim Heimathaus meinen Tag begann. Nun ist ist 17:45, ich nahm an einer Führung Teil, holte mir danach eine Käseleberkäsesemmel, fuhr 200 Kilometer nach Hause, habe zu Mittag gegessen, den Rasen gemäht und diesen Beitrag verfasst – und wäre ich Zwangsarbeiter in diesem Stollen, so müsste ich noch zwei Stunden lang arbeiten… sollte ich noch am „Leben“ sein.